Widerruf der Einwilligung und gute wissenschaftliche Praxis

Hallo,
ein Problem aus der Sozialforschung: bei wiederholten Befragungen (sogenannte Panels) fallen Datensätze mit unterschiedlichen Arbeitsständen und Inhalten an. Im Falle des Widerrufs der zu Grunde liegenden Einwilligung wäre die aktuelle Fassung des Befragungsdatensatzes zu anonymisieren, damit zumindest ein Teil der wissenschaftlich wertvollen Informationen erhalten bleibt. Die früheren Versionen werden in der Regel nicht mehr genutzt. Einer Löschung steht aber die Empfehlung der Deutschen Forschungsgemeinschaft entgegen, Forschungsdaten aus Gründen der guten wissenschaftlichen Praxis für mindestens 10 Jahre aufzubewahren zur eventuellen Überprüfung von Forschungsergebnissen. Ich möchte den Kolleg*innen ersparen, alle früheren Versionen des Befragungsdatensatz auf Anonymisierungserfordernisse zu überprüfen. Ich würde daher vorschlagen, alle früheren Versionen zu verschlüsseln und eine Entschlüsselung nur zuzulassen, wenn die für den aktuellen Datensatz durchgeführten Anoymisierungsmaßnahmen auch dann auf die benötigte frühere Version angewendet werden. Wäre das ein akzeptables Vorgehen?

Es wird nicht damit getan sein, sich hinter dem Forschungsschild zu verstecken. Schon gar nicht nachträglich.

“gute wissenschaftliche Praxis”? Kenn ich nicht! (Kenn ich schon, ist aber kein Erlaubnistatbestand aus Art. 6 Abs. 1; könnte nur als Grund für "geeignete Garantien in Art. 89 dienen, nicht als Lösung. Sollte in einem zukünftigen Forschungsdatenrecht mit Standardmaßnahmen definiert sein.)

Dafür muss eine andere Rechtsgrundlage her, anstelle der Einwilligung oder zusätzlich.

Pseudonymisieren? Wie geht man denn in anderen Situationen an die alten Datensätze ran? Z. B. würde man sie bei Anträgen auf Auskunft und Löschung zuordnen und löschen können? Die Forschungsausnahme vom Löschen in Art. 17 Abs. 3 lit. d setzt Art. 89 und seine “geeigneten Garantien” voraus.

Sind solche Eingriffe in die Datensätze nicht (ich schreib jetzt nicht “erwünscht”, sondern) möglich, müssten die Daten mit “geeigneten Garantien” dem Schutz der Personen entgegenkommen. Nicht nur wischiwaschi. Die Forschung /Dokumentation damit soll also im Gegenzug sicherstellen, dass die eingeschränkte Kontrolle durch die Betroffenen eben nicht zu Nachteilen führt.

Gab es dazu keine speziifischen Anstrengungen, sind es Daten wie alle anderen und zu beauskunften, löschen, Widerruf umzusetzen.

Art. 6 Abs. 1 DSGVO. Es müsste mindestens eine der Bedingungen (a bis f) zutreffen. Art. 89 ist kein eigenständiger Erlaubnistatbestand und bräuchte immer irgendwas aus Art. 6 Abs. 1. Ebenso Art. 9 Abs. 2 lit. j.

Sportlich denkende Leute trauen sich zu, nachträglich von der Einwilligung auf was anderes umzuschwenken. Das geht nur prinzipiell; praktisch aber nicht immer. Denn man muss sich fragen, warum überhaupt um die wankelmütige Einwilligung (freiwillig, widerrufbar) gebeten wurde, wenn es auch anders möglich wäre. Außerdem ist in bestimmte Verarbeitungszwecke einzuwilligen (“Forschung” wäre zu breit /unbestimmt), was nachträglich formulierte Forschungsfragen nicht vorausnimmt.

Der Wechsel der Rechtsgrundlage darf nicht so wirken: Bitte willige ein. Du entscheidest hier und heute, ob wir das Beschriebene mit denen Daten tun dürfen. Wenn du widerrufst, dürfen wir nicht weitermachen, weil wir dafür keine Erlaubnis mehr hätten. Dann müssen wir die Daten löschen. … Du widerrufst? OK, wir stellen auf “berechtigtes Interesse” (an der guten wissenschaftlichen Praxis) bzw. “öffentliches Interesse” (unserer Forschungseinrichtung) um und verarbeiten deine Daten unveraändert weiter. (Ätsch!)

  1. hätte man die Interessen schon bei der Datenerhebung als solche darstellen müssen, und darf bei dieser Rechtsgrundlage (e und f) das Widerspruchsrecht nicht pauschal ausschließen (weil die “gute … Praxis” immer vorgeht; Art. 89 und 17 sehen Erleichterungen vor, aber nicht Art. 21, ). 2. verstößt überraschendes Umschwenken gegen den Grundsatz von Treu und Glauben. 3. erfüllt die Falschdeklaration der Rechtsgrundlage und das Verschweigen der Alternative die Transparenzanforderungen nicht.

(Die Änderung der Rechtsgrundlage ist eigentlich keine Zweckänderung, Art. 6 Abs. 4, Art. 13 Abs. 3, Art. 14 Abs. 4, so dass es mit dokumentierten Überlegungen und Nachinformation nicht getan wäre.)

D. h. man müsste schon bei der Einwilligung gesagt haben, dass bei Widerruf Daten “im Sparmodus” bestehen bleiben; die Identität der Betroffenen durch spezielle Forschungsvorkehrungen geschützt.

D., der bei Forschungsberatung immer fragt, ob die Daten direkt nach der Erhebung anonymisiert werden können oder ob der Personenbezug noch eine zeitlang (nicht ewig) erhalten bleiben soll. Dann erst mal so gut wie möglich pseudonymisieren . Lässt sich eigentlich nur vorab eintakten; nachträglich schwierig.

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